Hallo Carl, schön, dass du dir Zeit für unser Interview genommen hast. Stell dich doch unseren Lesern kurz vor
Zuletzt aktualisiert: November, 2024
Danke meinerseits! Carl Classen heiße ich, bin Jahrgang 1959, lebe und arbeite in Karlsruhe mit eigener Praxis. Seit 1997 auch mit eigener Heilpraktiker- und Homöopathieschule. Seit nunmehr 20 Jahren engagiere ich mich zudem berufspolitisch für die Homöopathie und für Heilpraktiker. In allem interessiert mich der Mensch in seinen vielfältigen Prozessen und Zusammenhängen, interessieren mich neue Sichtweisen, Begegnungen und manche Brückenschläge.
Was war deine Motivation, Dich zum Heilpraktiker ausbilden zu lassen?
Zunächst hatte ich freie Kunst studiert. Aber wirtschaftlich brachte die Kunst mich in eine Aufspaltung von Lebensunterhalt und meinen primären Anliegen. Der Kunstmarkt verlangt narzisstische Selbstdarsteller und davon abgesehen ist gestaltende Kunst, anders als Musik oder Schauspiel, eine ziemlich einsame Tätigkeit. Ich nutzte dann ein gesundheitliches Aus, um den anderen und nicht minder starken Zweig meines Interesses auszubauen. Schon als Abiturient hatte ich über ein Medizinstudium nachgedacht. Abgesehen von Wartezeiten ohne Einser-Abi hatte ich schon damals das Gefühl, dass das, was da studiert wird, ziemlich einseitig ist. Auch für mich selbst brauchte ich eine Zeit mit wenig Außenbestimmung, bis ich alle Stränge wieder neu zusammenfügen konnte.
Wo hast du deine Ausbildung genossen?
Mein Weg zur Heilpraktikerprüfung 1990 in Tübingen prägte mit, was ich später anbot. Ich pendelte damals zwischen dem Tübinger Raum und Kassel, wo meine jetzige Frau keramische Kunst studierte. Ich war hoch motiviert, lebte an zwei Orten und suchte den Austausch mit Menschen, die ähnlich unterwegs waren. Vollzeitunterricht hätte ich zeitlich und finanziell nicht leisten können, aber ein Fernstudium wäre mir zu anonym gewesen. Ich fand dann einen didaktisch guten wöchentlichen Abendkurs bei Ute Ludwig-Freundt. Vornherein war klar: Die Unterrichtsstunden sind das Wenigste, Du musst jeden Tag fleißig zuhause arbeiten. Wenn ich gerade in Kassel war, versäumte ich bestimmte Einheiten.
Dort gab es einen etwas ähnlichen Kurs, aber mit anderem Ablauf. Lücken wollte ich mir nicht erlauben, also musste ich autodidaktische Fähigkeiten entwickeln. Das kam mir zugute, um später einmal andere in ihren Lernprozessen zu unterstützen. Für die therapeutische Weiterbildung in der Homöopathie und teils noch weitere Seminare hingegen unternahm ich weite Fahrten in verschiedene Enden der Republik. Qualitativ hochwertig gab es das damals nicht so bequem wie heute an einem Ort.
Worauf sollten Interessenten achten, wenn sie sich für eine Heilpraktikerschule entscheiden?
Unverbindliche persönliche Beratungsgespräche und kostenloses Gasthören sollten selbstverständlich sein. Da merkt man schon, wie eine Schule tickt. Ist das ehrlich, authentisch und benennen die auch die Anforderungen? Oder sind die mehr auf Kundenbindung und stark kommerziell ausgerichtet? Sprechen Sie auch mit Schülern, die schon länger dabei sind, wenn möglich auch mit Absolventen verschiedener Einrichtungen.
So ganz am Anfang steht ja die Überlegung, ob ich mir so einen Beruf überhaupt vorstellen kann. Die Entscheidung darüber darf sich auch später festigen, aber der Heilpraktikerberuf fordert mehr als ‘nur’ die ganzheitliche Arbeit mit Patienten. Er stellt einen zugleich vor alle Anforderungen freiberuflicher Existenz. Wenn eine Schule im Vorgespräch dazu nur rosa Wolken malt, auf die äußerst spärlichen Möglichkeiten einer Anstellung hinweist und vor allem Träume verkauft, dann finde ich das nicht vertrauenserweckend. Viele Ausbildungsplätze werden mit Menschen gefüllt, die nur ein diffuses Interesse an Gesundheitsthemen haben. Das hat alles seinen Platz, aber zu unterschiedliche Ziele in einer Gruppe senken das Niveau.
Schauen wir’s also vom Ziel her an: Was braucht der Beruf? Zunächst einmal Einfühlung und die Fähigkeit, mit unterschiedlichsten Menschen umzugehen. Viele gute Fähigkeiten, ich möchte auch sagen die „Therapeutenpersönlichkeiten“ in uns reifen durch den direkten persönlichen Austausch nicht nur mit Freunden, sondern auch mit guten Lehrern und vor allem mit MitschülerInnen, die auf einem ähnlichen Weg sind. Solche Begegnungen und der Austausch sind essenziell wichtig: Daher würde ich nie ein ausschließliches Fernstudium ohne ergänzende Präsenzveranstaltungen empfehlen.
Die freiberufliche Tätigkeit braucht aber auch Initiativkraft und Lust, etwas zu gestalten, also Unternehmerlust und sehr viel Einsatz. Das wird oft vergessen. Menschen, die diese Eigenschaften mitbringen, werden mit geeigneter Unterstützung auch ihren Lernprozess teilweise selbst in die Hand nehmen können und brauchen keinen Vollzeit-Unterricht. Wem solche Fähigkeiten fehlen, der scheitert womöglich nicht an der Prüfung, aber an der Praxis. Ich will sagen: die Entscheidung über das Schulkonzept: Vollzeit, Teilzeit, Fernunterricht oder kombiniert, das ist sehr viel mehr als nur eine organisatorische Frage. Es muss ebenso „chemisch“, für die eigene Arbeitsweise und für die eigene Vision stimmen.
Wie lernt man dann weiter, kranke Menschen zu behandeln?
Für eine Ausbildung in speziellen Therapieverfahren wie Osteopathie, Homöopathie, TCM, Ayurveda, europäische Naturheilkunde usw. möchte ich grundsätzlich spezialisierte Anbieter empfehlen und nicht solche, die einen ganzen Strauß voll mit jeweils ein paar Wochenenden abhaken. Es muss nicht derselbe Anbieter sein, bei dem man sich auf die Heilpraktikerprüfung vorbereitet hat, und niemand muss „alle“ Verfahren können.
Lieber ein klarer Schwerpunkt und das richtig. Es sei denn, Sie sind ein Genie und erlernen 27 Sprachen in einem halben Jahr. Wer einen wirklich prüft, das ist ohnehin nicht der Amtsarzt, das sind später die PatientInnen. Entscheidend ist also die therapeutisch qualifizierende Ausbildung, aber vielleicht nicht zeitlich überlappend mit der heißen Phase der Heilpraktiker-Prüfungsvorbereitung.
Praktische Teile sind für die Ausbildung in Therapieverfahren nochmals wichtiger als für die Heilpraktiker-Prüfungsvorbereitung. Wenn aber mit Praktika, Lehrpraxis usw. geworben wird, fragen Sie genau nach, was das bedeutet! Und schauen Sie ebenso, was sogenannte Zertifikate bedeuten. Zertifizierungen und Qualitätssicherung sind wichtig für unseren Beruf. Aber der Begriff „Zertifikat“ ist ungeschützt. Für therapeutische Ausbildungen sind vor allem solche Zertifizierungen interessant, die nicht vom Ausbildungs-Anbieter selbst vergeben werden (der Hühnerzüchter zertifiziert die eigenen Hühner) sondern von dritter und anbieterunabhängiger Seite und mit transparenten Kriterien. Aber auch die Anerkennung durch Fachgesellschaften kann ein positives Merkmal sein.
Wie sieht dein typischer Arbeitstag aus?
Aufstehen, Kaffee trinken … nein, jeder Tag sieht anders aus. Abends schreibe ich meist einige Stichworte manuell auf einen Zettel, lasse dies über Nacht völlig los. Morgens schaue ich mir Zettel und Kalender an, ergänze vielleicht, doch bei frei einteilbaren Arbeiten priorisiere ich oft intuitiv und spontan. Fest terminiert sind Patientenbehandlungen und viele Telefonate, Unterricht und Unterrichtsvorbereitungen, und auch organisatorisch bleibt viel zu tun. Hinzu kommen meine Tätigkeiten für SHZ (Stiftung Homöopathie-Zertifikat) und als Beirat des VKHD (Verband klassischer Homöopathen Deutschlands) sowie unterschiedliche Projekte, wie derzeit eine neue Praxis-Website und zwei neue Artikel für eine Fachzeitschrift. Für Schreibtisch-Tätigkeiten suche ich mir gerade im Sommer häufig schöne Plätze in der Natur und arbeite draußen mit dem Klapprechner.
Deine Antwort an Skeptiker: Was können Naturheilpraktiker mit ihrer Arbeit leisten und wo liegen die Grenzen?
Pseudo-Skeptikern, die nur debattieren wollen und niemals gegenüber ihrem eigenen fixen Standpunkten skeptisch sind, antworte ich eher gar nichts. Es ist erfrischender, mit einem Laternenpfahl zu reden.
Ein Bewusstsein von Grenzen gehört zur Professionalität aller Heilberufe. Natürlich sind wir froh, dass Blinddärme heute operiert werden können, dass eine Sepsis mithilfe von Antibiotika überlebt werden kann und dass es bei Herzinfarkten lebensrettende Maßnahmen gibt. Die moderne Medizin kann auf ihrem Gebiet physikalischer, chirurgischer und pharmazeutischer Interventionen Hervorragendes leisten. Unsere Verfahren setzen hingegen auf die Eigenregulation des Organismus, sind Reiztherapie und Regulativmedizin. Wann immer anwendbar, ist das der elegantere Weg und vor allem ist das auch nachhaltiger, so kann die Gesundheit sich langfristiger stabilisieren. Regulativmedizin alleine reicht aber nicht, wenn lebenswichtige Organgewebe zerstört sind oder das Auto sozusagen schon gegen den Baum fährt. Selbst dann können die Herangehensweisen einander ergänzen. Anerkenntnis der jeweiligen Grenzen und gegenseitigen Respekt erhoffe ich von allen und erlebe diesen in der Praxis häufiger, als künstlich aufgebauschte Medienberichte dies glauben machen.
Was zeichnet einen guten guten Heilpraktiker aus?
Jeder Heilpraktiker, jede Heilpraktikerin wird „anders gut“ sein. Ich nenne daher nur einige Punkte, die mir einfallen und die mir als Patient wichtig wären, auch wenn ich letztlich intuitiv entscheide.
An erster Stelle stehen für mich Menschlichkeit und Bewusstheit: Authentizität, Wertschätzung und Einfühlungsvermögen, Fähigkeit nicht wertend zuzuhören und dem anderen angemessen Raum zu geben, Präsenz und echtes Interesse am jeweiligen Gegenüber, Eigenreflexion und selbst im Prozess zu sein, keine ideologische Vernagelung, keine „Verkaufsziele“ und keine unangemessenen Patienten-Bindungen.
Zweitens die fachliche Qualifizierung: umfassende mehrjährige Ausbildung und ständige Weiterbildung in geeigneten Therapieverfahren, reflektierte Erfahrung und methodische Reflektiertheit, Fähigkeit jede Beratung und Behandlung den Erfordernissen des Einzelfalls anzupassen, Förderung gesundheitlicher Eigenkompetenzen von Patienten, kein Durchziehen bloßer Schemata.
Drittens Professionalität: angemessene Aufklärung und Auftragsklärung, gut organisierte Praxisabläufe, Achtung eigener Grenzen und der des anderen, keine schiefen Vermischungen von beruflich und privat, Fähigkeit mit KollegInnen und ggf. anderen Gesundheitsberufen zu interagieren, dann möglichst auch Nutzung von Supervision, Intervision oder Qualitätszirkeln.
Viertens ein gewisses Etwas, die individuelle Therapeutenpersönlichkeit, und die ist mehr als eine Summe relevanter Fähigkeiten. Jemand kann auch ein bisschen verrückt sein und ist dennoch ein guter Heilpraktiker, eine gute Heilpraktikerin.